Tierbegegnungen
Die aus dem Himmel zu meinen Füßen gefallene
Schlange sollte nicht meine einzige Tierbegegnung im thailändischen
Buddhistenkoster Wat Suan Mokh bleiben. Schon gleich am ersten Abend warnte uns
der Meditationskoordinator vor Skorpionen, giftigen Tausendfüßlern und
Nachtschlangen mit dem eindringlichen Rat, in der Dunkelheit niemals ohne
Taschenlampe herauszugehen und schon gar nicht allein. Falls wir Skorpione,
giftige Tausendfüßler und Ähnliches jedoch in unserem Zimmer entdecken
(Skorpione stecken besonders gerne in Schuhen!), sollten wir diese natürlich
keinesfalls töten, sondern lebend auf die Wiese im Innenhof hinausbefördern.
Für weitere Adrenalinstöße sorgte eine Baumechse (mit Kamm auf Rücken und Schwanz, sah aus wie ein kleiner Waran), die mir beim Ausschütteln meines Hemdes plötzlich aus dem Ärmel herausflog, aber auch die Fledermäuse, die einem in der Abenddämmerung auf dem Weg zur Toilette mit einer Affengeschwindigkeit anscheinend rammen wollen, um im letzten Augenblick haarscharf auszuweichen. Nach dem ersten Schrecken entpuppten sie sich als beste Freunde, weil sie die Moskitos auf den Toiletten und bei den Waschgelegenheiten vertilgten. Ich hätte gerne auch ein paar Fledermäuse in meinem Zimmer gehabt, zum Ärger meiner Nachbarin hatten sie ihr Lager aber schon in ihrem Zimmer aufgeschlagen.
Dann gab es natürlich Geckos, einige davon riesig, Unmengen von Ameisen, Spinnen und Moskitos, aber merkwürdigerweise keine Kakerlaken. Besonders viele Moskitos umschwirrten die heißen Quellen, in denen wir zur Abenddämmerung baden durften. Normalerweise würde man Mädchenalarm erwarten wenn an die zehn Frauen bis zum Hals im heißen Wasser herumstehen. Tratsch, Gekicher und Geplantsche, aber alles ging der Klosterordnung entsprechend lautlos und gemessen ab. Ein ungewohnter Anblick. Nur einmal lockerte sich unsere stille Runde: als ich aus Furcht vor einem riesigen brummenden Insekt, das meinen Kopf als Ruheplatz auserkoren hatte, mit einem unhörbaren Schrei eiligst untertauchen mußte. Bei meinem Auftauchen eine halbe Minute später begrüßte mich das haltlose Gelächter meiner Badegefährtinnen.
Das merkwürdige Verhalten der Mitmeditanten
Auch sonst boten wir
ein merkwürdiges Bild, fast als seien wir Freigänger eines Sanatoriums: Wenn wir
langsam und gemessen unseres Weges zogen, oder bei der walking meditation immer
zwanzig Schritte in die eine Richtung gingen, Pause, zwanzig Schritte zurück,
Pause und wieder von vorne. Einige kamen sich schon vor wie kleine Buddhas vor
und trugen die ganze Zeit einen bemüht heiligen Ausdruck auf dem Gesicht, mit
einem festgefrorenen Lächeln, das mir eine Gänsehaut den Rücken herunterjagte.
Das gleiche galt für die Meditation im Sitzen. Päpstlicher als der Papst bemühten sich einige so stark meditierend auszusehen, daß sie darüber vergaßen sich auf ihren Atem zu konzentrieren und wirklich zu meditieren. Ein Haufen Poser, die sich wahrscheinlich unglaublich heilig vorkamen. Glücklicherweise waren das nur wenige, und bei dem Abt des Klosters, Ajahn Poh, fanden sie dafür auch kein Verständnis. In dem Bewerbungsbogen für die elftägige Klausur hatten mehrere als Grund tatsächlich angegeben:
- sie wollen erleuchtet werden
- sie wollen wie Buddha sein
In einer allgemeinen Ansprache riet der Abt diesen Leuten, sich an einen Psychologen zu wenden, bei Extremfällen empfahl er das mental hospital. Zur Beruhigung furchtsamer Gemüter versicherte er, daß niemand durch die Meditation an sich verrückt werde. Er wies aber darauf hin, daß sich gerade zu Meditationskursen viele labile und geistig instabile Menschen anmelden, von denen sich dann hin und wieder jemand recht sonderbar benähme. Was dann natürlich in der Abgeschiedenheit inmitten einer übersichtlichen Gruppe besonders auffalle.
Die Mitmeditanten: Zufriedene Gesichter nach beendetem Meditationskurs, ohne Hinweis auf absonderliche Verhaltensweisen. Suche die Autorin! |
Tatsächlich legten im Laufe des Kurses immer mehr Mitmeditanten merkwürdige
Verhaltensweisen an den Tag:
- ein schmächtiger Hippie steuerte jeden
Morgen nach dem Frühstück einem bestimmten Busch an, roch an einer weißen Blüte,
rupfte sie ab und ging dann in ihren Anblick beseelt weiter: Nach einigen Tagen
imitierten ihn mindestens drei langhaarige Frauen.
- ein kräftiger
blonder Mittzwanziger verwechselte das Kloster offensichtlich mit einem
Kung-Fu-Trainingslager: am siebenten oder achten Tag begann er plötzlich damit,
die Palmwedel von den Kokospalmen herunterzutreten, praktizierte nach jedem
Essen in die Hände klatschend Liegestütze und stellte sich beim Abwaschen in den
Pferdestand, um dann dabei wie in Chang Chehs Der Tempel der Shaolin" sein Kung
Fu auch in der Küche zu erlernen bzw. anzuwenden.
- ein kleiner
dunkelhaariger Bartträger begann von einen Moment auf den anderen rückwärts zu
gehen, was meine ihm zufällig folgende Begleiterin und mich in einen schon fast
hysterischen Lachkrampf trieb.
- mindestens die Hälfte der Frauen hätte
gerne ein geheimes Date mit dem junior chanting monk gehabt.
- einige
Kursteilnehmer verkrochen sich gänzlich in ihrer Kammer, um nur noch zum Essen
herauszukommen.
- in den Unterkünften begannen die Frauen (die Männer
wohl auch, aber das konnte ich nicht überprüfen) mit fortschreitendem Kursus
vermehrt heimlich zu rauchen, sich allein, zu zweit oder in kleinen Gruppen
flüsternd zu unterhalten, zu lesen und über Walkman Musik zu hören.
Am Nachmittag des vorletzten (10ten) Tages brach auch ich mein Schweigen. Das Meditieren über die Impermanenz des Lebens hatte mich ganz erbärmlich niedergedrückt. Auf eine Frage meiner Klostergefährtin Nicole brach es aus mir heraus, und ich mußte ihr mein Leid klagen. Danach erschwerte sich das Schweigen exponentiell. Auch einfache Konzentration auf meinen Atem fiel mir plötzlich schwer, dafür begann ich langsam wieder an das Leben außerhalb des Klosters zu denken.
Den ersten Tag nach dem Kloster stürzten besagte Nicole und ich uns mit Turboantrieb in den Trubel der Provinzhauptstadt Surat Thani, schwelgten in den Leckereien des food markets, redeten bis wir einen trockenen Mund bekamen und sahen uns abends den neusten Hongkongfilm ("A Chinese Odyssee - Pandoras Box" mit dem Komödien-Superstar Chow Sing Chi) im Kino an. Natürlich hatte ich schon gleich vor den Klostertoren meine erste Kokosnußmilch getrunken.
11tägiger Meditationskurs im thailändischen Buddhistenkloster Wat Suan
Mokh
wann: vom 1. bis einschließlich 11. jeden
Monats. wo: in Südthailand (nahe der Insel Koh Samui, an der Landstraßevon Surat Thani nach Norden, in einem speziellen Meditationszentrum des Klosters Suan Mokh. Anreise: mindestens eine Stunde ab Surat Thani mit dem Nahverkehrsbus nach Norden, oder dem Fernstreckenbus nach Bangkok. Viel teurer ist es mit dem Taxi oder dem Tuk Tuk. |
wie teuer: inclusive Meditationskurs, Unterkunft uns
Verpflegung 900 Baht, das sind ca. 50,- DM. wer: teilnehmen kann jeder, auch ohne Vorkenntnisse. Der Kurs ist in Englisch und richtet sich an Nichtthais (Thailänder nehmen an einem späteren thailändischen Kurs teil). |
Anja Böhnke
Noch zur Sache: Der Artikel bezieht sich auf meinen thailändischen
Klosteraufenthalt im März 1995. Erstveröffentlichung: Die Kleine Mechthild 20,
21/22 und 23, Mai, Juni/Juli und August 1995. © Anja Böhnke.